An der Nordseeküste...

 

 

Der Wecker geht um 7:00 Uhr und holt uns aus einem erholsamen Schlaf in die Realität zurück. Der erste Blick geht zum Fenster. Draußen ist es grau, es hat über Nacht geregnet.

Wir gehen in den großen Frühstücksraum und begutachten erst einmal das reichhaltige Frühstücksbuffet. Neben Bratwurst, Obst, Cerealien, Aufschnitt, Käse, Rühreier, Speck und Honig finden wir auch eine kleine Verpackung mit dem Namen "Marmite". Sieht aus wie ein schwarzer teeriger Brei. Das kann nur so etwas wie Nutella sein, also greifen wir zu. Auch die anderen etwas ungewöhnlichen Beilagen wie Bratwurst packen wir auf unsere Teller, man ist ja Neuem gegenüber aufgeschlossen. Auf die angebotenen Bohnen verzichten wir dann aber doch und konzentrieren uns lieber auf das, was wir kennen und auch mögen. Ich verköstige gerade eine ziemlich lapprige nach nichts schmeckende und lauwarme Bratwurst, während Axel sich das erste Toast mit Marmite schmiert und herzhaft hineinbeißt.

Love it or hate it

Die blasse Farbe in Axels Gesicht und seine sich leicht mit Wasser füllenden Augen sagen mir sofort, dass irgendetwas nicht stimmt. Da Axel ein kultivierter Mensch ist, entsorgt er den Inhalt seines Mundes unauffällig und elegant in eine Serviette. Mein fragender Blick spricht Bände und kurz darauf probiere ich selber. Großer Fehler, kann ich nur sagen. Statt des erwarteten süßen Nutella-Geschmacks bekommt meine Zunge eine Klatsche in Form einer extrem salzigen, nach Brühwürfelkonzentrat schmeckenden Paste, die am Gaumen kleben bleibt und unvermittelt einen leichten Brechreiz verursacht. Jetzt füllen sich auch meine Augen leicht mit Wasser. Boah, was ist das denn...

Auch zig Versuche, den Geschmack im Mund mit Orangensaft und Kaffee zu neutralisieren, misslingt. Nach dem 3. Glas Orangensaft geben wir auf. Das weitere Frühstück behält diesen Beigeschmack und es ist eigentlich egal, was wir uns nun aufs Toast legen.

Nach dem Frühstück recherchiere ich, womit wir uns denn nun gerade den Geschmack beim Essen verdorben haben und erfahre, dass Marmite aus einem Hefeextrakt hergestellt wird, der als Abfallprodukt beim Bierbrauen entsteht. Weitere Zutaten sind Salz, Pflanzenextrakte und Gewürze, deren Zusammensetzung natürlich Firmengeheimnis ist. Außerdem soll es Mücken abwehren. So genau wollte ich es gar nicht wissen...aber ich stimme definitiv dem letzten Punkt in der Überschrift und Werbeslogan zu.

Start in Dundee
Sleeperz Hotel in Dundee

Um 9:45 Uhr sitzen wir auf den Moppeds und versuchen Dundee in Richtung Norden zu verlassen. Aufgrund diverser Baustellen kein Leichtes Unterfangen, nach 3 Ehrenrunden dann aber doch erfolgreich. Ab hier geht es fast ausschließlich entlang der Nordseeküste auf der "Angus Coastal Tourist Route" bis nach Aberdeen.

Wir fahren durch Montrose und entdecken vor uns ein Taxi mit einem Aufkleber der Kampagne "Think Bike". Sehr lobenswert...und überhaupt sind alle hier Motorradfahrern gegenüber sehr aufgeschlossen und freundlich...naja. fast alle, aber dazu kommen wir später noch.

Think Bike Think Bike Think Biker

Unseren nächsten Stopp machen wir in Johnshaven. Von hier aus haben wir dank der nun klaren Luft einen fantastischen Blick von einer Steilküste auf die Nordsee und ein kleines fast im Wasser liegendes Fischerdorf.

Blick auf die Nordsee
Johnshaven zu Füßen

Wir fahren weiter entlang der Küste. Irgendwann macht das Navi unverständliche Ansagen, die wir ignorieren. Die Temperaturen sind angenehm, die Blicke übers Meer entspannen. Kurz nach 11:30 Uhr erreichen wir Aberdeen und ich bin etwas verwundert. Wo ist denn das Castle, das wir uns vorher anschauen wollten? Jetzt wissen wir aber auch, dass das Navi  vorhin doch die korrekten Ansagen gemacht hatte. Axel hält hinter einer breiten Autobahnabfahrt am Rande an und wir stimmen uns ab. Es gibt 2 Möglichkeiten: Entweder das Castle vergessen, mein Gemotze ertragen und weiterfahren oder 20 Kilometer auf der gleichen Autobahn zurück. Erfreulicherweise kann ich mich durchsetzen und wir kehren um. Mein Argument "Hier kommen wir nie wieder her" greift.

Gegen 12:00 Uhr erreichen wir das Dunnottar Castle. Auf dem Parkplatz gibt es sogar ganz vorne extra für Motorräder ausgewiesene Plätze.

Motorradparkplatz
No Cars - only Bikes

Trotzdem müssen wir von hier noch etwa 400 Meter laufen, um einigermaßen vernünftige Bilder zu schießen. Da meine gute Casio-Kamera ja den Geist aufgegeben hat, muss nun meine alte, immer noch treue IXUS 500 an den Start. Also mache ich mich bei mittlerweile 25 °C auf den Weg zum Castle.

Dunnottar Castle

Dunnottar Castle ist eine imposante Ruine, in der einst die schottischen Kronjuwelen aufbewahrt wurden. Der Anblick ist fantastisch. Die Sonnenstrahlen und das dahinter liegende Meer unterstreichen diesen noch. Leider ist auch hier der Zugang zur Burg kostenpflichtig, so dass ich mich mit ein paar Fotos aus der Entfernung begnüge.

Die Fahrt geht weiter über eine kleine Nebenstrecke, die als Einbahnstraße eingerichtet ist. Hier erreichen wir den idyllisch zum Teil ins Meer gebauten Ort Stonehaven, der bereits vorher auf diversen Hinweisschildern angekündigt wurde. Laut Wikipedia hat Stonehaven sogar einen Anschluss an das schottische Bahnnetz und ist der Sitz der International Maritime Rescue Federation (IMRF), einem weltweiten Bündnis der Seenotrettungsdienste.

Stonehaven
Blick auf Stonehaven

Gegen 13:00 Uhr erreichen wir dann erneut Aberdeen und starten nun unsere kleine Sightseeing-Tour durch die Stadt. Aberdeen ist eine Hafenstadt und für die Ölindustrie bekannt. Aufgrund vieler Gebäude aus Granit wird sie auch "Granitstadt" genannt. Ziel unserer Tour ist das Marischal College, welches auch als viktorianisches Wahrzeichen der Stadt bekannt und das zweitgrößte Granitgebäude der Welt ist. Heute befindet sich darin auch die Stadtverwaltung.

Gegen 14:30 Uhr verlassen wir langsam Aberdeen und decken uns in einem Tankstellenshop noch schnell mit den Grundnahrungsmitteln Brot, Gurke und Bier ein. Auf einem Hinweisschild erkennen wir, dass gerade Holsten-Bier im Angebot ist. Nachdem wir vergeblich danach suchen, klärt uns ein Angestellter in einer mehrminütigen Tirade freundlich auf, dass sie das nun gerade nicht mehr auf Lager haben. Obwohl wir der englischen Sprache mächtig sind, verstehen wir fast kein Wort. Oder ist das gar kein Englisch, sondern Gälisch oder Scots? Jedenfalls muss es so wohl Ausländern ähnlich gehen, die ein bisschen Deutsch sprechen, aber auf einen mit starkem Akzent sprechenden Bayern oder Schwaben treffen.

Wir befinden uns nun in Aberdeenshire, from mountain to sea the very best of Scotland. Na, dann schauen wir doch mal...

Aberdeenshire

Um 15:15 Uhr erreichen wir den Tomnaverie Stone circle. Mittlerweile haben wir 26 °C. Ein Hinweisschild auf einem Parkplatz zeigt, dass wir noch 300 Meter bis dorthin laufen müssen, haben aber aufgrund der Hitze und einem bergauf gehenden Anstieg keine Lust dazu. Auch das Steigenlassen unserer mitgenommenen Drohne müssen wir leider wegen des heftigen Windes canceln.

Weiter geht es durch schöne Landschaften vorbei an alten Häusern, Gemäuern, Ruinen und über diverse Brücken.

River Dee
Brücke über den Fluss Dee

Auf einer extra gekennzeichneten Strecke "Kurven für Biker" kommen uns auch diverse entgegen. Scheint eine beliebte Strecke zu sein, wenn man die Zahl der freundlich grüßenden Biker ins Verhältnis zu den bisher gesehenen Motorradfahrern setzt. Außerdem lernen wir, dass die Mehrzahl der Biker hier anders als bei uns grüßt. Statt "die Linke zum Gruß", lassen die Biker hier seitlich kurz den Kopf fallen. So, wie bei einem Sekundenschlaf, nur seitlich nach rechts eben. Sieht im ersten Moment ungewöhnlich aus, lässt sich aber wohl mit dem Linksverkehr und der daraus resultierenden Notwendigkeit des sehr hohen Armhebens über die Scheibe, falls vorhanden, bis zur Sichtbarkeit erklären (geiler Satz!).

Bikerstrecke
Kurvenspaß für Motorradfahrer

Wir fahren weiter durch saftig grüne Wälder und direkt auch am Balmoral Castle vorbei, der Sommerresidenz der Königsfamilie. Mitten im Cairngorms National Park erreichen wir dann Braemar mit seiner gleichnamigen Schlossruine. Ein netter Ort, ebenfalls touristisch sehr erschlossen. Aufgrund einer 5-stündigen Straßensperrung können wir unsere Fahrt in Richtung Süden, wo unser eigentliches Etappenziel auf uns wartet, leider nicht fortsetzen, da es hier in Braemar nur eine einzige Hauptstraße gibt, die in den Ort rein- und auch wieder rausführt. Zwei uns auf der Hauptstraße zu Fuß entgegen kommende Golfspieler, die ihre Golftrolleys hinter sich herziehen, erzählen uns irgend etwas, wovon wir aber nur verstehen, dass der Umweg etwa 40 Meilen lang ist.

Gegenüber entdecken wir ein Schild "Youth Hostel". Wir sind uns sofort einig, dass hier heute unsere Reise enden soll. Wir haben zwar erst knapp 280 Km auf dem Tacho, aber es ist bereits nach 18:00 Uhr. Beim Einchecken stellen wir fest, dass es keine freien Zimmer mehr gibt. Für 40,- £ ohne Frühstück bekommen wir jeder noch ein Bett im 6er-Mädels- bzw. 8er-Jungs-Dorm. Wir atmen tief durch und schlagen ein. Ist zwar nicht das, was wir uns vorgestellt haben, aber für eine Nacht wird es gehen, zumal keiner von uns Lust hatte, die 40 Meilen Umleitung zu fahren oder sich in einem völlig überteuerten Hotel in Braemar einzuquartieren.

In der Gemeinschaftsküche kochen wir uns zum Abendessen unsere Nudeln und pimpen sie mit Truthahnfleisch im eigenen Saft auf. Schmeckt sogar richtig lecker. Zwei in der JuHe erworbene regionale Bierchen draußen im Grünen getrunken runden den Abend ab und wir gehen anschließend das erste Mal auf unseren Reisen getrennt in die Heia.

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