What the hell sind Midges?
Um 8 Uhr reißt uns der brüllende Bordlautsprecher aus dem Tiefschlaf und wünscht uns in mehreren Sprachen einen guten Morgen. In der Nacht haben wir eine Zeitzone überfahren und müssen nun im Kopf die Uhren um eine Stunde zurückstellen. Bis zum Anlegen um 9:45 Uhr in New Castle haben wir also noch Zeit für eine Dusche. Da wir kein Frühstück gebucht haben, begnügen wir uns mit ein paar Müsliriegeln und Mineralwasser.
Aus dem auf dem Boden liegenden Klamottenberg versucht jeder seine passenden Teile zu greifen. Das anschließende Einpacken der restlichen Textilien entpuppt sich aufgrund der Enge in der Kabine als logistische Herausforderung.
Dennoch stehen wir pünktlich und schwer bepackt um 9:40 Uhr bereit und betreten wenig später unser Cardeck 4.
Axel wartet auf die Freigabe zum Betreten des Decks
Jetzt beginnt das Entgurten, quasi rückwärts zu gestern. Wir registrieren, dass die Maschinen des Schiffes bereits gestoppt haben und nehmen einen Klangbrei aus Stimmen und dumpfen Motorengeräuschen wahr. Scheinbar hat das Entladen begonnen, wir können jetzt nur noch warten, bis auch unser Deck an der Reihe ist.
Nach 45 Minuten öffnet sich unsere Luke und wir fahren die Rampe herunter. Nach weiteren 45 Minuten Wartezeit bei der Ausweißkontrolle und beim Zoll können wir endlich weiter. Noch auf dem Hafengebiet halten wir an und ich montiere nun die Fahrkameras und Stromversorgungen.
Warten auf die Abfertigung in New Castle
Hochkonzentriert setzen wir uns auf der linken Seite der Fahrbahn in Bewegung. Und noch vor Erreichen des ersten Kreisels kommt uns ein Auto (gefühlt auf der falschen Fahrbahn) entgegen. Axel verreist minimal, und auch ich starte erst einmal ein Ausweichmanöver. Kein richtiges, sondern mehr eines im Kopf. Beim kommenden Kreisel stoppen wir und sondieren die Lage. Momentan geht bei uns noch nichts ohne Plan.
Ich stelle meine Ansicht im Navi auf 3D um. Das hilft mir beim Abbiegen und bei der ungewohnten Verkehrsführung. Erfreut bin ich, dass das Navi ebenfalls die hier angegebenen Meilen automatisch in km/h umrechnet.
Beim nächsten Kreisel läuft´s dann schon besser, beim übernächsten entspannen wir uns schon deutlich. Auch an das Linksfahren auf Autobahnen gewöhnen wir uns relativ schnell. Die Autofahrer hier sind tiefenentspannt. Hier gibt es keinen, der drängelt, hupt, wild gestikuliert. Im Gegenteil, wir werden freundlich in das Verkehrsgeschehen integriert.
Auffällig ist noch, dass es auf den Hauptstraßen zahlreiche Radaranlagen gibt, auf die aber permanent hingewiesen wird und die allesamt auffällig gekennzeichnet sind. Selbst auf der Straße weisen knallgelbe querverlaufende Streifen darauf hin, dass genau HIER ein Blitzer steht. Wer da dann dennoch geblitzt wird, hat entweder was mit den Augen oder ein dickes Portemonnaie. Abzocke jedenfalls ist anders...
Oh, was ist das? Ein ALDI? Mitten in England? Völlig irritiert drücke ich auf den Auslöser. Da fühlt man sich ja gleich wie zu Hause.
Die nächste Stunde fahren wir durch eher unspektakuläre Gegenden, in denen sich Schafe, Ruinen, Kirchen und Rinder abwechseln. Der Himmel ist zwar bedeckt, aber es ist nicht kalt. Angenehme 21 °C begleiten uns in den nächsten 60 Minuten.
Dann kommen wir am "Last Cafe in England" vorbei und 20 Minuten später um 12:38 Uhr Ortszeit erreichen wir die Schottische Grenze. Etliche Schilder weisen auf die bevorstehende Grenze mit Parkplatz und Viewpoint hin. In der Ferne ist bereits die Schottische Flagge zu erkennen.
Die Schottische Grenze
Instinktiv will Axel rechts auf den Parkplatz fahren, wird aber durch ein Einbahnstraßenschild daran gehindert. Die Einfahrt zum Parkplatz auf der linken Seite erkennen wir gerade noch aus den Augenwinkeln, während wir daran vorbei fahren.
Da es vorher auf dieser Straße keine Wendemöglichkeit gegeben hat, fährt Axel am Ende des Parkplatzes verbotenerweise in die eigentliche Ausfahrt. Ja, mein Gott...manchmal geht irgendetwas halt nicht anders... Den meisten anwesenden Touristen ist das auch egal. Nicht aber einem englischen Motorradfahrer, der Rast neben einem Imbiss macht. Wild zeternd und mit grimmiger Miene kommt er rasant auf uns zu und wir bekommen erst einmal eine Standpauke, noch bevor wir zum Stehen kommen. Ich verstehe nur "dangerous" und ahne, was er uns damit sagen will.
englische Standpauke
Danach beruhigt sich der Biker aber wieder und fragt neugierig nach unseren Plänen. Nachdem wir ihm unsere geplante Route beschrieben haben, winkt er ab und sagt "oh, not good. Annoying midges..." Was ist nicht gut? Where? Und überhaupt, was sind Midges? Keine Ahnung, daher gönnen wir uns am Imbiss erst einmal einen sehr lecker schmeckenden Kaffee und einen Hotdog, die erste feste Nahrung nach den Müsliriegeln.
Imbiss an der schottischen Grenze
Hier oben ist alles auf Tourismus ausgelegt. Neben dem Imbisstand und einem Grenzfelsen mit den in Stein gemeißelten Worten "Scotland" und auf der anderen Seite "England", gibt es natürlich auch noch einen Doodlesack-Spieler, der gerade "Mull of Kintyre" aus dem Beutel quetscht und in seinem offenen Caddy jede Menge Souvenirs mit sich führt. Für jeweils 1 £ kaufen wir uns 2 Aufkleber mit den Schottland-Umrissen in den jeweiligen Farben. Ein klassischer Fehlkauf, denn beim späteren genaueren Hingucken zurück in der Heimat entpuppen sich die Aufkleber als schottische blauweiße Doodlesäcke. Ups! Und Axel sagt noch.....
Wir genießen den Kaffee und schauen uns die diversen Infotafeln an. Unter anderen gibt es hier auch eine, die die Entstehung des Union Jack beschreibt. Sehr interessant, wieder was dazu gelernt.
Auch hier posten wir noch schnell, wie toll doch alles ist und wo wir uns gerade befinden. Zu meiner Überraschung findet mein Smartphone hier in der Einöde ein "4G"... anders als bei uns. Da hat man in Ostseebädern sogar teilweise nur ein "H". Aber das steht auf einem anderen Blatt...
Um 13:15 Uhr verlassen wir die gastliche Stätte und fahren über zum Teil recht kurvige Sträßchen und durch schöne Gegenden vorbei an Lama-Farmen, Ruinen, am Born-in-the-borders-Besucherzentrum und natürlich Mengen von Schafen und Rindern.
Kurven und weite Sicht
Später erreichen wir dann die Ruine des Zisterzienserklosters Melrose, im Englischen Melrose Abbey genannt. Für eine ausführliche Besichtigung fehlt uns die Lust, denn mittlerweile ist es mit 25 °C richtig warm geworden. Also müssen ein paar Fotos reichen. Wer sich geschichtlich für die Klosterruine interessiert, der findet detaillierte Infos unter obigem Link.
Melrose Abbey
Jetzt befinden wir uns auf direktem Weg in Richtung Edinburgh. Mit Erreichen der Stadt erkennen wir aber sofort, dass sich ein Besuch mit dem Mopped nicht wirklich lohnt. Außer wahnsinnig viel Verkehr, 4-spurige Kreisel und Touristen sieht man hier nicht viel...
...außer vielleicht echte Schotten
Viele Sehenswürdigkeiten sind sicher gut zu Fuß zu erreichen, und eine Städtereise lohnt sich bestimmt. Nicht aber im Zusammenhang mit unserem geplanten Urlaubsablauf. Wir wollen fahren und Gegenden mit dem Mopped erkunden, nicht aber Stunden in stickigen Museen oder mit dem Wandern verbringen.
Edinburgh Castle
Nach dem Verlassen von Edinburgh stehen wir aufgrund einer Baustelle 30 Minuten im Stau. Mittlerweile ist es 17:20 Uhr; wir wollen aber noch ein bisschen fahren. Kurze Zeit später erreichen wir dann auch die legendäre Forth Bridge. Die Forth Bridge ist eine zweigleisige Eisenbahnbrücke und Weltkulturerbe. Sie hatte bei ihrer Eröffnung 1890 die größte Spannweite aller Brücken weltweit und gilt als die erste Brücke, die vollständig aus Stahl hergestellt wurde.
Natürlich machen wir hier Bilder aus allen Richtungen und setzen unsere Fahrt über eine der Nachbarbrücken fort, die für den Autoverkehr freigegeben ist.
Forth Bridge
Eigentlich soll für heute Schluss sein. Aber irgendwie finden wir nichts, was unser Übernachtungsinteresse geweckt hätte. Von der Forth Bridge geht es über Schnellstraßen und Autobahnen weiter. Unser nächstes Ziel ist das St Andrews Castle im gleichnamigen Ort, der sich bei unserer Ankunft als Touristenhochburg entpuppt. Entlang einer Flaniermeile gibt es Hotels, Pensionen, B+B, jede Menge Straßencafés. Doch zunächst schauen wir uns kurz das Castle von außen an. Ganz schön groß....
Unser Plan ist, sich hier erst einmal eine Unterkunft zu suchen und morgen dann ganz entspannt das Gelände zu inspizieren. Da unsere heutige Tour hier enden soll, baue ich meine Kameras schon einmal ab. Leider fällt mir dabei aber auch die Hauptkamera herunter, mit der ich während unserer Stopps die meisten Bilder mache. Ein Test zeigt, dass es noch einmal gut gegangen ist und sie weiterhin funktioniert.
Axel und ich vor dem St Andrews Castle
Zwischen Wunsch und Realität liegen manchmal Welten. Nach den kurzen Schnappschüssen am St Andrews Castle war nix mit Unterkunft. Entweder "no vacancies" oder ab 90,- £ pro Person aufwärts. Auch ein Downgrade lässt sich manchmal noch toppen. So das Tourist Hostel für günstige 16,- £ pro Person. Allerdings bezieht sich der Preis auf einen Schlafplatz im 20-Bett-Dorm, was dann doch nicht mehr so ganz unserer Vorstellung von einer rustikalen Unterkunft entspricht.
Dem Tipp eines Tankstellenkunden folgend landen wir nach einer weiteren Stunde im Sleeperz Hotel im gut 20 Kilometer entfernten Dundee. Mehr aus der Verzweifelung heraus checken wir ein. Zu allem Überfluss fällt mir beim Entladen der Moppeds die Kamera ein zweites Mal aus der Hand und direkt auf den harten Asphalt. DAS Geräusch sagt mir, dass es sich diesmal dann mit dem Fotografieren erledigt hat. Man, muss das sein...
Wir sind müde und freuen uns auf eine Dusche. Das Hotel ist relativ neu und mit Hightech ausgestattet. Die Lampen im Zimmer und der Fahrstuhl beispielsweise lassen sich nur mit einer WiFi-Karte in Betrieb nehmen. Das Zimmer ist futuristisch eingerichtet, aber trotzdem zweckmäßig...und erstaunlich günstig. Das Preis-/Leistungsverhältnis passt hier jedenfalls perfekt.
Wir sitzen am Schminkspiegel mit Ablage, verköstigen unsere restlichen Etappenbierchen und schnitzen uns noch ein Brot aus dem, was wir noch in der Tasche haben. Müde, satt und zufrieden kuscheln wir uns ins riesengroße Doppelbett.
Da muss Axel vorher den richtigen Riecher gehabt haben, als er beim St Andrews Castle schon ausgiebig Fotos machte. Dundee war von St Andrews etwa 14 Meilen entfernt und wir wären mit Sicherheit morgen nicht noch einmal zurückgefahren. Schade nur, dass ich die Kameras bereits verstaut hatte, denn die Zufahrt zur Stadt auf der Tay Road Bridge über den Firth of Tay war schon beeindruckend.
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