Schlammschlacht

 

Endlich...Dies war der Tag, an dem ich zu den Wurzeln meines Vater zurückkehren durfte. Nach dem Frühstück fuhren wir direkt in den Kreis Krasnosnamensk, um das Dorf Klischen (Livny) zu suchen, in dem mein Vater 1922 geboren wurde. Dank moderner Technologien wie Internet, GPS etc. konnten wir ziemlich genau lokalisieren, wo wir nun hinfahren mussten. Dass der Weg zum Dorf aus Sand bestand, hatten wir vorher bereits im Internet recherchieren können. Zum Glück war es brüllend heiß und kein Regen weit und breit in Sicht. Die Straße müsste also trocken sein.

Start in Sovetsk vom Hinterhof des Hotels
Start in Sovetsk vom Hintehof des Hotels

Laut Karte mussten wir in Pobedino links abbiegen. Dieses Dorf war der letzte bewohnte Fleck bis zur litauischen Grenze und lag in dem 5-Kilometer-Grenzstreifen, für den man beim Betreten eine Art Genehmigung besitzen musste, die wir alle zum Glück noch vor der Abreise erhalten hatten und somit völlig entspannt waren (siehe Vorbericht). Und dann lag sie vor uns, die Zielgerade zum Dorf Klischen. Mein Navi zeigte nichts an, mir fehlten hier die Feindaten. Nur den Waypoint "Klischen" konnte ich sehen, den Axel aufgrund der gefundenen Koordinaten eingegeben hatte. Die Luftlinie zeigte Nordwest in ca. 2 KM Entfernung an. Ich war total aufgeregt. Prima. Na, dann mal los.

Zielgerade nach Klischen
Zielgerade nach Klischen?

Trotz einiger Tiefsandpassagen und Kuhlen ließ es sich relativ gut fahren. Selbst Micha mit seiner MZ hatte keine Probleme und meisterte die Endurostrecke prima. Irgendwann wurde es holpriger, es wurde enger, es wurde schlammiger, und dann gabelte sich der Weg auch noch. Jetzt stellte sich uns die Frage "weiter oder umdrehen". Mein Navi zeigte immer noch 1 KM Entfernung an. Ich hatte leicht gemischte Gefühle, Micha meinte jedoch, dass wir jetzt nicht aufgeben sollten und noch ein paar Kilometer fahren sollten. Alles klar, also weiter.

Endspurt
Endspurt, jetzt nicht aufgeben

Hinter der nächsten Kurve holte uns dann die Realität ein. Aus dem Sandweg wurde eine Schlamm-, Matsch- und Berg- und Talbahn. Wasserlachen in ausgewaschenen Fahrspuren entpuppten sich schon fast als Furten. Und als Folker vor mir durch so eine Pfütze fuhr, der Dreck hochspritzte und er dabei fast noch ins Straucheln kam, beschloss ich, nicht mehr weiter zu fahren. Micha hatte die kommende Pfütze noch durchfahren, Axel die übernächste auch noch. Aber dann ging wirklich nichts mehr. Jetzt stand das Wasser ca. einen halben Meter hoch in den Senken, und matschige Kanten und Ränder machten selbst das Gehen fast unmöglich.

festgefahren
"festgefahrene" Situation

Die 4 Moppeds standen nun jeweils eine Pfütze auseinander. Wir mussten hier irgendwie wieder raus. Aber wie? Umdrehen war alleine unmöglich. Also, jetzt mussten wir uns wirklich erst einmal einen Plan machen. Beim Abnehmen der Helme torpedierten uns ausgehungerte Bremsen und Moskitos, so dass ich lieber den Helm aufbehielt und das Visier wieder runterklappte. Das funktionierte aber auch nicht, denn die Sonne brannte und die Luft flirrte und mein Schädel kochte, also musste wenigstens das Visier wieder hoch.

Wendemanöver
Wendemanöver mit vereinten Kräften

Mit vereinten Kräften im Vor-Zurück-Wipptechnik-Verfahren und gleichzeitigem Mücken-Platthauen gelang es uns dann mühsam, die Moppeds zu wenden. Jetzt mussten Axel und Micha noch durch die Schlammlöcher zurück. Während Axel vorsichtig mittendurch eierte und sich zur Stabilisierung mit den Füßen auf den Kanten der Wasserpfützen abstützte, musste Micha mit Anlauf durch das Wasser, da sonst sein wesentlich tiefer aufgehängter Motor abgesoffen wäre. Bei diesem Manöver hatte Micha aber leider nicht genug Schwung und machte sich beim Durchqueren lang. Zum Glück ist Micha nichts weiter passiert. Beim Mopped ging allerdings das Blinkerglas zu Bruch, aber auch da kann man von Glück reden, dass nicht mehr passiert ist.

Irgendwann hatten wir dann auch Folkers und meine Maschine gedreht und wir fuhren wieder zurück in Richtung Pobedino. Und da warteten sie dann schon, die Grenzsoldaten. Sie hatten die Hauptstraße bereits gesperrt und warteten nun gelassen auf uns. Da wir ja nichts zu befürchten hatten, machten wir vorher noch bei ein paar Jugendlichen Halt und versuchten heraus zu bekommen, ob es noch einen anderen Weg nach Klischen geben würde. Da keiner irgendwas verstand, versuchten wir uns anhand von Karten und Gesten verständlich zu machen. Ich hatte eine alte Landkarte von früher, in der das Dorf Klischen noch eingezeichnet war. Die Jugendlichen studierten die Karte und beratschlagten sich, wir genauso. Das dauerte den Grenzsoldaten wohl zu lange, denn plötzlich setzte sich deren Jeep in Bewegung und hielt direkt vor uns. Dann standen zwei Soldaten vor uns, einer mit gesenkter Waffe und sabbelten irgendwas.

Grenzsoldat
Grenzsoldat

Obwohl wir nichts verstanden, übergaben wir ihnen erst einmal leicht angespannt unsere Reisepässe und Grenzbescheinigungen. Als der eine Soldat sein Handy zückte und erst einmal mindestens 3 verschiedene Leute angerufen hatte, ahnte ich, dass etwas nicht stimmen würde. Schon einmal vorsorglich verstaute ich meine Kameras von den Soldaten unbemerkt im Koffe. Als wir dann nachfolgend mit wilden Gesten aufgefordert wurden, dem Jeep zu folgen, bestätigte sich mein Verdacht, und als sich dann hinter uns im Grenzposten das 5 Meter hohe und mit S-Draht gesicherte Eisentor schloss, setzte, jedenfalls bei mir, leichte Panik ein.

Dann wurden wir in eine Art Wartezimmer geführt und bekamen erstaunlicherweise ziemlich schnell Kaffee, Tee und ein paar Schokoriegel. Aha, es würde also etwas länger dauern. Mir war weder nach Essen, noch nach Kaffee zumute. Und als sie Axel dann zum Verhör abholten, verlor ich leicht die Nerven. Folker und Micha sahen das alles nicht so ernst, ich hingegen schon. Gedanklich sah ich uns schon in irgendeiner Zelle vermodern.

Axel ist entspannt
Axel ist noch ziemlich entspannt

Nach einer Ewigkeit brachten sie Axel dann endlich zurück. Ich suchte sofort äußerlich nach Misshandlungen, fand aber keine. Axel erzählte dann, dass der eine Grenzsoldat seinen Freund in Hannover per Handy angerufen hatte und sie sich so verständigen konnten, was wir wollten und was verkehrt gelaufen war. Der Typ in Hannover erklärte Axel, dass wir die falschen Grenzbescheinigungen mit uns führten und diese nicht für den Kreis Krasnosnamensk galten. Wir waren also offiziell Grenzverletzer. Na, toll. Weiterhin erklärte der Hannoveraner, dass wir deshalb mit einer schriftlichen Verwarnung ohne Bußgeld belegt werden würden. Suuuper!!!! Falls wir hier lebend rauskommen sollten, ist auf jeden Fall ein Einzelgespräch mit der Dame vom Reisebüro fällig...von wegen Klischen gehört zum Kreis Dobrovolsk (s. Vorbericht).

Als ich dann dachte, das wär´s nun gewesen und wir können endlich weiter, teilte man uns mit, dass unsere Ausweise nun erst einmal fortgebracht wurden und irgendein Oberst, Major, General oder was auch immer sich auf dem Weg hierher befand. Und wieder war Warten angesagt. Als das Blauhemd dann eintraf, wurde dieses Mal Micha zum Verhör gebeten. Nach etwa 1 Stunde kam dann Micha wieder zurück und sagte trocken. "Einfach sagen, dass wir den Grenzgebietshinweis nicht gesehen hatten...." Brgl? Und dann wurde ich auch schon rausgerufen und in das Verhörzimmer gebracht. Vor mir saß ein mürrischer Offizier, der in riesigen Stapeln von Formularen kramte. Hinter ihm stand eine junge Grenzsoldatin, die schätzungsweise gerade 200 Kopien von unseren Reisepässen, Grenzbescheinigungen und Immigrationskarten gemacht hatte. Außerdem saß dort auch eine freundlich dreinschauende Frau mit Kittelschürze, weißen Söckchen und lächelte mir zu. Dann sprach sie mich auf deutsch an und fragte nach meinem Namen, Familienstand, meine Schulausbildung und den Ort, in dem ich die Schulausbildung gemacht hatte (???). Wozu das nun wichtig war....keine Ahnung. Und dann fragte sie mich, ob ich den gleichen Grund für die Grenzverletzung angeben möchte wie Micha, und ich nickte heftig und war gleichzeitig etwas erleichtert. Das Blauhemd überreichte mir 6 Blanko-Zettel, die lediglich meine eben gemachten Angaben beinhalteten und ich sollte nun dort, wo ein Kreuz war, unterschreiben. Ich unterschrieb wie blöde und es war mir zu diesem Zeitpunkt egal, ob ich nun eine Waschmaschine gekauft hatte oder nicht. Bloß schnell weg hier...

Bei mir dauerte das alles zusammen vielleicht nur noch 15 Minuten, so wie bei Axel und Folker dann auch. Wir bekamen unsere Pässe zurück und die Auflage, auf direktem Weg zurück nach Sovetsk und dort über die Grenze nach Litauen zu fahren. Dann kam die deutsch sprechende Frau noch einmal zu mir und bestätigte auf Axels Nachfrage hin, dass es das Dorf Livny seit Jahren nicht mehr geben und an die ehemalige Stelle auch kein Weg führen würde. Schade, aber immerhin war ich ganz dicht dran gewesen...

Mittlerweile hatte Micha draußen mit einigen Soldaten aufgrund seiner MZ scheinbar Freundschaften geschlossen. Tztztz...ich schwitzte hier Blut und Wasser und Micha führte Benzingespräche...jedenfalls mit Händen und Füßen. ;-)

Michas neuer Freund
Michas neuer "Freund"

Sogar ein Abschlussfoto bekam Micha. Allerdings mit der Bitte "please not in Internet...", gepaart mit der typischen Handbewegung fürs Hängen. Freundliches Gelächter auf beiden Seiten. Ich machte 100 Kreuze, als sich das Tor öffnete, wir wieder nach draußen und weiter Richtung Sovetsk fahren durften.

wieder in Freiheit
wieder in Freiheit

Als wir Sovetsk erreichten, meldete sich unser Magen und wir beschlossen bei einem leckeren Essen im Restaurant des Hotels, in dem wir übernachtet hatten, noch einmal alles Revue passieren zu lassen. Wir begutachteten unsere dreckige Maschinen und reparierten provisorisch mit Plastiktüte und Kabelbinder Michas Blinker. Eigentlich waren die russischen Soldaten relativ nett...trotzdem ging mir die Muffe 1 : 1000. Russland wird mich so schnell nicht wiedersehen. Aber evtl. hat sich das ja eh erledigt, falls wir in die Liste der "unerwünschten Personen" eingetragen worden sind. ;-)

Blinkerreparatur
Blinkerreparatur mit Plastiktüte und Kabelbinder

Bei der anschließenden Ausreise und Einreise nach Litauen legten wir 4 noch einmal den Grenzübergang für über eine Stunde lahm. Nach uns wartende Autofahrer stiegen schon genervt aus ihren Autos, um zu sehen, warum das da vorne so lange dauerte. Wir wurden nacheinander genauestens geprüft, die Bilder in den Pässen mit unseren echten Gesichtern minutenlang verglichen. Da der Blickwinkel aus dem Kabuff heraus wohl nicht für Menschen über 1,80m gedacht war, mussten wir leicht in die Knie gehen. Bei 30° und gebeugter Haltung ein schweißtreibendes Unterfangen. Dann bekamen wir endlich unsere Stempel und Ausweise zurück und durften nun einzeln zur litauischen Grenze weiterfahren. Auch hier mussten wir noch einmal die Pässe zeigen und durften dann passieren. Geschafft....die EU hatte uns wieder und Erleichterung machte sich in mir breit.

Ausreise aus Russland
Ausreise mit viel Wartezeit

Um 18.30 Uhr ging es dann wieder zurück nach Klaipeda. Axel hatte im Vorwege ein Youth Hostel rausgesucht, wo unsere heutige Reise eigentlich enden sollte. Leider war das Hostel aber komplett ausgebucht. Die Herbergsmutter empfahl uns ein Hotel oder einen Campingplatz. Kurze Abstimmung: 3 zu 1 für den Campingplatz. Nach etwa 5 Kilometer erreichten wir den Platz, der allerdings kein Restaurant oder Einkaufsshop hatte. Während wir schon einmal unsere Zelte aufbauten, besorgte uns Axel noch ein paar Getränke. Da unsere Provianttasche noch mit leckeren Sachen wie Bifi, Scheibletten und Gurke gefüllt war, ließen wir den Abend nach der ganzen Aufregung mit ausgiebigen Gesprächen über das Erlebte und selbstgebasteltem Brot ausklingen. Dabei vergaßen wir die Zeit und bekamen hier dann unseren zweiten Einlauf, da sich Urlauber ein wenig durch unsere Unterhaltung gestört fühlten. Ok, also machten wir für heute Schluss. Dass die ganze Nacht alle halbe Stunde ein Güterzug pfeifend am Campingplatz vorbeidonnerte, schien außer uns aber sonst keinen zu stören.

Camping bei Klaipeda
Campingplatz in der Nähe von Klaipeda

Heute gefahren von Sovetsk nach Pobedino (Klischen) und zurück bis Klaipeda: 246 KM

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