Landschaftlich ein Traum

 

Nachdem wir früh aufgestanden waren und bereits alles eingepackt hatten, betraten wir wie abgesprochen die Gaststube gegen 8.00 Uhr. Komisch...noch kein Tisch für uns gedeckt und keiner weit und breit zu sehen. Wir riefen einige Mal etwas lauter und plötzlich kam eine kleine hutzelige Frau aus einem Nebenraum und sah uns erschrocken an. Wir versuchten ihr klar zu machen, dass wir Frühstück gebucht hatten und nun gerne essen wollten. Natürlich verstand sie kein englisch. Also ging dies auch nur mit Händen und Füßen und einer Strichzeichnung von mir. Langsam wurde unsere Ausdrucksweise auch schon ein wenig lauter. Dann lächelte sie und nickte und brachte uns erst einmal einen Kaffee. Axel war ziemlich stinkig und konnte sich kaum noch zurückhalten. Als hätte er es den Abend vorher schon geahnt.

Abfahrt aus Raska
Abfahrt aus Raska - Die Strichzeichnung wurde dann verstanden

Plötzlich betrat ein kräftiger älterer Mann den Gastraum und begrüßte uns mit den Worten "Guten Morgen, gut geschlafen?" Na endlich jemand, mit dem man sich verständigen kann, dachten wir. Wir machten unseren Unmut laut, doch er winkte ab mit den Worten "nix vestäähn...". Aha, dann war das wohl der einzige Satz, den er mal auf deutsch gelernt hatte. Auch englisch ging nicht und wir vermuteten, dass die Frau aus der Küche ihn gerufen hatte, weil sie verängstigt war. Uns reichte es. Wir gingen wortlos, nahmen unsere Sachen und machten uns vom Acker. Noch einmal werden wir im Voraus bestimmt nicht bezahlen...

Durch diese scheiß Aktion kamen wir erst um 8.30 Uhr los. Hätten wir das vorher gewusst, hätten wir schon um 7.00 Uhr starten können. Aber "hätte, hätte..Fahrradkette...". Es ließ sich nun nicht mehr ändern.

Nach etwa einer halben Stunde konnten wir dann wieder in unsere ursprünglich geplante Route einsteigen. Von hier aus ging es über fantastische Strecken durch den Golija-Naturpark und wir waren zum Teil wieder über 1.000 m hoch. Wir waren so ziemlich alleine und kaum ein Auto kam uns entgegen. Es gab Linkskehren, es gab Rechtskehren, wunderschöne Blicke über die gesamte Landschaft.

Golija Nationalpark
im Golija Nationalpark

Man konnte so richtig entspannt fahren und genießen und dann passierte es...In einer Linkskurve rutschte mir der Hinterreifen weg, dann spürte ich noch einen harten Schlag unterm Fuß, der sich bis in die Hüfte fortsetzte...dann hatte ich einen Blackout. Das nächste, woran ich mich erinnerte, war, dass ich noch auf dem Mopped saß und der Lenker wie wild hin und her schlug. Dann wieder Blackout...und dann befand ich mich mit dem Mopped stehend auf der Gegenfahrbahn. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war und vor allem nicht, wodurch. Axel hatte von dem nichts mitbekommen und war weitergefahren. Ich fuhr nun erst einmal von der Gegenfahrbahn runter und hielt an der Seite. Mein ganzes linkes Bein schmerzte, obwohl ich zum Glück nicht gestürzt bin. Meine Knie zitterten und ich hatte Sorge, dass sie mir wegknicken würden. Also setzte ich meine Fahrt im Schneckentempo fort. Es dauerte eine Weile, bis ich Axel erreicht hatte. Und dann merkte ich erst, dass ich wie ein Schlosshund heulte.

Axel verstand natürlich überhaupt nichts und ich versuchte ihm das Geschehene zu erklären. Was im Nachhinein richtig gut war, war der Vorschlag von Axel, noch einmal zu der Stelle zurückzufahren und zu schauen, ob dort etwas zu sehen war. Vielleicht Bitumen oder Dreck oder, oder. Langsam beruhigte ich mich und wir untersuchten die Kurve genauer. Nichts zu sehen, allerdings war der Straßenbelag sehr glatt. Das merkten wir beim Gehen. Der Belag sah auch irgendwie komisch aus, als wenn dort runde Kieselsteine mit eingearbeitet wurden. Sollte das der Grund gewesen sein? Einfach nur "scheiß" Straßenbelag? Das würde natürlich auch erklären, dass vor jeder Kurve das "Achtung: Rutschgefahr-Schild" stand. Wir hatten angenommen, dass dies nur bei Nässe gilt. Falsch gedacht und Glück gehabt, dass dies noch einmal glimpflich abgegangen war. Allerdings hätte ich gerne gewusst, was fahrphysikalisch passiert ist. Warum der Lenker schlug, warum ich mich wieder aufgerichtet habe... Habe ich gebremst oder die Kupplung gezogen? Ich weiß es nicht... und leider konnte mir bisher das auch keiner erklären. Aber instinktiv muss ich ja irgend etwas richtig gemacht haben.

Danach suchten wir erst einmal einen Parkplatz. Leider vergebens. Das, was wir fanden, waren eigentlich nur Schuttplätze. Zwar standen überall schöne Bänke und Tische, aber der ganze herumliegende Müll nahm einem die Freude daran und wir fuhren weiter.

Rastplatz
Rast- oder besser gesagt Müllplatz

Dann war schon fast die Grenze zu Bosnien-Herzegowina in Sicht und wir machten Halt an einer Tanke. Die letzten Dinar wurden für Sandwichs, Kaffee, Landes-Sticker und Benzin ausgegeben. Wobei Letzteres schon spannend war, da 1 Euro in etwa 120 Dinar entsprachen. Wir hatten noch 4.800 und ein bisschen Kleingeld. Beim Befüllen der Tanks waren uns aber nette Jungs von der Tanke behilflich. Man konnte die Uhr gar nicht so schnell verfolgen, wie die Zahlen sich drehen. Und sie legten beide bei genau 2.400 Dinar pro Maschine eine Punktlandung hin. Hut ab...

Dann ging es weiter zur bosnischen Grenze. Irgendwo zwischen dem Tara-Nationalpark und dem Zlatibor-Gebirge erreichten wir diese dann. Wir befanden uns im Naturpark "Sargan-Mokra Gora" und erkannten, dass Autos, Busse und dergleichen beim Verlassen eine Gebühr entrichten mussten, hingegen hatten wir auf den Moppeds freie Fahrt. Das war ja mal erfreulich.

Entscheidung
entscheiden Sie sich jetzt!....

An der Grenze reichte dann dem Grenzer nicht nur der "Passport". Er wollte auch zusätzlich die Zulassungspapiere und die grüne Versicherungskarte haben. Alles klaaar.... Axel ließ sich richtig Zeit. Zuerst mussten ja schließlich die Handschuhe aus. Bei 35 °C dauert das halt etwas, weil das Innenleben ein wenig an der Hand klebt. Dann musste der Tankrucksack geöffnet werden... natürlich dauerte auch dies, weil das vorsichtig geschehen musste, damit nicht alles rausfiel. Dann nahm Axel seine Papiere raus. Um sie vor Durchweichung bei Starkregen oder Furtdurchfahrten zu schützen, waren sie in einer wasserdichten Schutzhülle verpackt. Also, erst einmal vorsichtig öffnen, damit der Klettverschluss und der wasserdichte Zip-Verschluss nicht kaputt gingen. Dann konnte Axel die Papiere überreichen. Der Grenzer überflog mehr oder weniger die Dokumente und reichte sie zurück. Dann begann die Prozedur rückwärts. Papiere ordentlich und gewissenhaft eintüten, Tankrucksack noch etwas umräumen, weil er sich nicht mehr schließen ließ, das Anziehen der Handschuhe war besonders aufwendig, da sich das Innenfutter verdreht hatte und nun auch noch den Helm zuklappen. Mittlerweile hatte sich hinter uns eine ziemliche Schlange gebildet. Und dann konnte Axel endlich weiterfahren. Jetzt kam ich an die Reihe... und war einigermaßen erstaunt, dass der Grenzer mich mit enorm genervter Miene einfach vorbeiwinkte. Ich war irritiert und hielt trotzdem an und hörte nur ein noch genervteres "dalje, dalje" (oder so ähnlich), was sich wie "dalli, dalli" anhörte. Dann fuhr ich weiter und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Hast du gut gemacht, Axel. :-)

Grenze Bosnien-Herzegowina
Grenze Bosnien-Herzegowina

Wir waren in Bosnien-Herzegowina. Unser nächstes Ziel war nun die Drina-Brücke in Visegrad. Mittlerweile Weltkulturerbe, 1914 zum Teil zerstört und wieder aufgebaut. Wer sich für die Geschichte interessiert, kann unter den jeweiligen Links weitere Informationen bekommen.

Brücke über die Drina
Brücke über die Drina

Weiter ging es auch hier durch wunderschöne Landschaften. Wir fuhren durch Schluchten, begleitet von türkisschillernden Flüssen und grüner Flora. Unsere geplante Route führte uns dann abseits und es sollte weiter über einen Pass gehen. Allerdings bestand dieser aus einem sehr schmalen Schotterband und es sah nicht so aus, dass sich das auf den nächsten Kilometern ändern würde. Also fuhren wir die Hauptstraße weiter.

tolle Landschaft
umgeben von schönster Landschaft

Dann mussten wir trotzdem über einen schmaleren Pass fahren, der aber wenigstens geteert war. Was uns wunderte, war die Vielzahl der mit uns fahrenden oder entgegen kommenden Autos und auch die vielen Polizeiwagen, die am Straßenrand standen. Muss wohl eine allseits bekannte Abkürzung nach Sarajevo gewesen sein. Auf einem Mal befanden sich haufenweise schwarze Limousinen hinter uns, alle wild hupend und die Straße quasi "freischießend". Ich verstand überhaupt nichts. Was sollte das? Auch wir wurden dann brutal an den Straßenrand gedrängt, als 3 oder 4 Limousinen trotz der schmalen Straße und des Gegenverkehrs an uns vorbeischossen. Dann folgte ein noch größerer schwarzer Wagen mit schwarzen Scheiben, wahrscheinlich noch gepanzert, und noch einmal 3 dazu gehörende Wagen und mir blieb nur noch die Flucht auf eine Auffahrt. Nicht zu fassen...

Es war bereits fast 19.00 Uhr, als wir Sarajevo dann mehr oder weniger "durch die Hintertür" erreichten. Die JuHe, die Axel herausgesucht hatte, lag oberhalb von Sarajevo und man hatte einen tollen Blick über die ganze Stadt. Allerdings lag diese auch ziemlich steil an einer Straße und so richtige Möglichkeiten, um die Moppeds abzustellen, boten sich uns nicht. Nach kurzer Überlegung suchte Axel im Navi nach einer anderen Unterkunft und fand auch eine in etwa 500 m Entfernung. Die Bergabfahrt gestaltete sich schwierig, da viel Verkehr herrschte, manche Stellen aber nicht breit genug waren, damit 2 sich entgegen kommende Autos nicht rammten. Zudem durfte man keinen Augenblick zu lange an einer Kreuzung warten oder überlegen... schon wurde man wieder einmal gnadenlos in Grund und Boden gehupt. Alle bekloppt hier...

Blick auf Sarajevo
Blick auf Sarajevo

Das Motel, das wir dann endlich fanden, hatte geschlossen, ein daneben liegendes Hotel war uns zu teuer. Wir waren uns einig, erst einmal weiterzufahren. Sarajevo war die Hölle. Teils 6-spurige Straßen und man wurde förmlich durch die Stadt gejagt. Wir waren mehr als dankbar, als wir endlich in ruhigere Gefilde kamen und der Verkehr abnahm. Leider hatten wir aber immer noch keine Bleibe und es war schon 20.00 Uhr. Dann plötzlich hinter dem Ort Ilidža erblickte ich ein Restaurant mit schöner Terrasse und dem Schild "SOBE", was soviel wie Zimmer hieß. Man lernt ja dazu. Ich hupte, damit Axel meine Vollbremsung mitbekam und fuhr auf den Parkplatz. Was man vorher nicht erkennen konnte, war, dass das Restaurant zu einem Hotel gehörte. Klasse, schnell rein, auf englisch nachgefragt und eine Antwort von einem deutschsprechenden Rezeptionisten bekommen. Der Preis stimmte, 60 KM (Konvertible Mark; 1 € = 1,95583 KM; wie damals nach der Einführung des Euro). Jetzt nur noch Einchecken und endlich duschen....

Fotoequipment
Das Equipment musste jeden Abend aufgeladen werden

Von dem Rezeptionisten, der auch gleichzeitig Kellner war, erfuhren wir während des Essens, dass ein hochrangiges Politikertreffen wegen des damaligen Bosnienkrieges stattfand. Das erklärte natürlich auch das rücksichtslose Überholmanöver der schwarzen Limousinen. Wahrscheinlich saß da Obama oder Merkel drin...

Spätere Recherchen haben ergeben, dass am 11. Juli wirklich hochrangige Politiker an einer Gedenkfeier für das vor 20 Jahren stattgefundene Massaker an 8.000 Muslime in Srebrenica teilgenommen hatten. Und ein Teil der Strecke von Srebrenica nach Sarajevo lag tatsächlich ab Sokolac auf unserer Route.

Gefahrene Kilometer Raska - Sarajevo (Ilidža): 363,5

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